Die neue Tötungskultur
Verwackelte Bilder zeigen, wie Gaddafi halbnackt, angeschossen, blutüberströmt und fast bewusstlos von einer johlenden Menge bewaffneter Rebellen durch die Straßen von Sirte gezerrt wurde, bevor er endgültig hingerichtet wurde. Er soll noch um Gnade gefleht haben und ein „Allahu akbar“ war in diesem Gejohle und Geschreie zu vernehmen. Der Exekution vorangegangen waren wochenlange Bombardements von Sirte durch NATO-Kampfflugzeuge –Hunderte Menschen starben, verbluteten, wurden verstümmelt. Krankenhäuser und andere zivile Einrichtungen wurden getroffen und unter dem Schutz der westlichen Mächte konnten die so genannten Rebellen und neuen Machthaber mit ihren modernen Maschinengewehren aus europäischer Produktion Menschenrechtsverletzungen begehen.
Wir leben in einer neuen Zeit der Faustrache. Obama, Sarkozy und Cameron drücken ihre Zufriedenheit über die Ermordung von Gaddafi aus. US-Militärs töten Osama bin Laden und schicken ihren Drohnen, um weitere Terroristen zu töten. „Erfolg für die Kräfte des Friedens“, nannte es im Mai 2011 die deutsche Bundeskanzlerin. Wir haben uns an den Paradigmenwechsel in der internationalen Politik gewöhnt und rüsten unsere Armeen zu Angriffsarmeen um. Vor 10 Jahren begann die Shoot-and-Kill-Strategie in Afghanistan. Krieg, Mord und Vertreibung gelten als legitimes Mittel der Politik.
Dagegen gilt: Wer Unrecht begeht, muss vor ein Gericht gestellt werden, sein Fehlverhalten muss aufgezeigt und bestraft werden. Dies wäre bei Osama bin Laden wie Gaddafi möglich gewesen. Wer sich auf Demokratie und Menschenrechte beruft, darf seine Politik nicht auf Tötungsstrategien aufbauen. Nie kann die Ermordung von Menschen mit dem Verweis auf Menschenrechte legitimiert werden – dies ist ein Widerspruch in sich. Vielleicht, so kann daher angenommen werden, sind die Triebfedern für die neue Tötungskultur aber auch nicht die Forderung nach Menschenrechten, sondern geostrategische Interessen verbunden mit der Gier nach Energieressourcen.
Der Blick etwas südlicher von Libyen hätte gezeigt, wie ein diktatorisches Regime auch ohne Waffengewalt gestürzt werden kann. Der Friedensnobelpreis an Ellen Johnson Sirleave und Leymah Gbowee macht uns darauf aufmerksam. Ein Charles Taylor war gewiss um vieles brutaler als ein Gaddafi. Die Friedensfrauen von Liberia hatten es ohne Waffengewalt geschafft, einen Bürgerkrieg zu beenden und Charles Taylor und sein Regime zum Abdanken zu zwingen. Auf den Krieg folgte der Frieden, auf die Diktatur folgte Demokratie. Die Friedensfrauen wurden dabei von den benachbarten Staaten und der internationalen Gemeinschaft unterstützt, den Weg zum Frieden auf dem Verhandlungsweg zu suchen. Es wäre auch für Libyen möglich gewesen. Es war auch der Wunsch vieler afrikanischer Staaten. Es passte jedoch nicht zur Kill-Mission, die seit dem März 2011 in Libyen herrschte.
Mitgliedsorganisationen von Pax Christi International haben seit Beginn der Militärintervention immer wieder friedliche Konfliktlösungswege eingemahnt. Krieg kann aus friedensethischer Sicht niemals ein Mittel der Politik sein und die unbedingte Würde menschlichen Lebens gilt selbst den Feinden.