6. Dezember 2023

Call for Papers: Soziale Verteidigung voranbringen

Soziale Verteidigung voranbringen Aktuelle Fragestellungen und praktische Herausforderungen

Wissenschaftliches Symposium, 6.-7. September 2024, Hochschule Bielefeld (HSBI)

„Soziale Verteidigung“ ist ein Konzept des gewaltfreien Widerstands im Falle von inneren Revolten oder Angriffskriegen. Dabei stehen organisierte und trainierte Bürger*innen organisierten militärischen Akteuren gegenüber und wollen durch die Anwendung gewaltfreier Methoden (Nichtkooperation, Streiks, Boykotte/Buykotte, dynamischer Weiterarbeit ohne Kollaboration, Dienst nach Vorschrift, u.v.m.) die gegnerische Partei zum Aufgeben bringen. Erklärtes Ziel der Sozialen Verteidigung ist es, soziale Institutionen und Infrastrukturen zu schützen und Leben, demokratische und selbstbestimmte Lebensweisen sowie Lebensnotwendiges zu bewahren, ohne sich einem*einer Angreifer*in zu ergeben. Soziale Verteidigung steht damit in der Tradition der Praxis revolutionärer Kämpfe, gewaltfreien Widerstands, Sozialer Bewegungen und ziviler Kampagnen. 

Das Konzept wurde in seiner modernen Fassung in der Friedensforschung nach dem 2. Weltkrieg entwickelt – Katalysator war die Gefahr eines Atomkriegs zwischen NATO und Warschauer Pakt und die Erkenntnis, dass ein solcher Krieg keine Sieger, sondern nur allgemeine Vernichtung zur Folge haben würde (u.a. King-Hall 1958, Roberts ed. 1967). Seit dem Erscheinen der zentralen theoretischen und empirischen Texte zur Sozialen Verteidigung in den 1970er und 1980er Jahren (vgl. Ebert 1968, Boserup & Mack 1974, Ebert 1981, Galtung 1982, Jochheim 1988, u.v.m.) und der Gründung des „Bund für Soziale Verteidigung“ (1989) ist zwar die Vielfalt der praktischen Ebenen von Sozialer Verteidigung deutlich geworden, konkrete Fragestellungen aber, die sich seither ergeben haben – beispielsweise zur Organisierbarkeit von Sozialer Verteidigung, zu Herausforderungen neuer Technologien und Techniken der Überwachung und Repression, aber auch der Effektivität von Gewaltfreiheit —, sind nicht durch eine gezielte Forschung zu Sozialer Verteidigung hinterfragt worden. 

Gleichzeitig haben sich neue Forschungszweige ausdifferenziert, z.B. zu zivilem Widerstand (Resistance Studies – u.a. Vinthagen 2015, Quantitative Forschung zu „Civil Resistance“ – u.a. Chenoweth/Stephan 2011, Neuere Protestforschung), zu gerechten und resilienten Gesellschaften (u.a. Postcolonial Studies, Transformationsstudien, Nachhaltigkeitswissenschaften) oder auch zur Organisation von Revolutionen und Kampagnen, deren Ergebnisse noch nicht systematisch in den Rahmen von Sozialer Verteidigung als handlungspraktische Methode übersetzt wurden.

Vor dem Hintergrund eines neuerlichen Interesses an Sozialer Verteidigung in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren wird sich das Symposium mit drängenden und grundsätzlichen Fragen der Sozialen Verteidigung aus einer wissenschaftlichen Perspektive beschäftigen. Dabei sollen wesentliche praktische Fragen ganz konkret angegangen und grundsätzliche Herausforderungen in der ihnen zustehenden Tiefe betrachtet werden.

Herausforderungen und Fragestellungen für Soziale Verteidigung, die sich für dieses Symposium anbieten, sind (nicht ausschließlich):

  • Allgemeine und theoretische Überlegungen
    • Wessen Werte gilt es wie zu verteidigen? Grenzfälle zwischen einer universalistischen Humanität und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
    • Wie lässt sich das Verhältnis von Sozialer Verteidigung und der Vorstellung eines gerechten Friedens denken und wirksam umsetzen?
    • Wie verhalten sich Soziale Verteidigung und Überlegungen zur rechtswahrenden Gewalt zueinander? Inwieweit integriert Soziale Verteidigung Gewalt im Sinne eines weiten Gewaltbegriffs?
    • Welche Konzepte einer Verbindung von gewaltfreier und militärischer Verteidigung (das sog. „Mix“) gibt es, und wie können sie hinsichtlich ihrer Realitätstauglichkeit beurteilt werden? Gefährdet jegliche Form gewaltförmigen zivilen Widerstands die Möglichkeiten gelingender Sozialer Verteidigung?
    • Wie gestaltet sich der Unterschied zwischen Sozialer Verteidigung und Zivilschutz? Welche neuen Beispiele für Soziale Verteidigung wurden in den letzten dreißig Jahren erforscht und dokumentiert? Welche neuen Erkenntnisse gibt es zu den „klassischen“ Beispielen aus der älteren Literatur (z.B. Kapp-Putsch 1920, Ruhrkampf 1923, 2. Weltkrieg, Prag 1968)? 
    • Welche neuen Fragen für SV stellen sich angesichts moderner Kriegsführung (z.B. Drohnen, höhere Verletzlichkeit der zivilen Infrastruktur, hybride Kriegsführung usw.)?
    • Ist SV auf staatlicher oder zivilgesellschaftlicher Ebene zu verorten?
  • Vor der Praxis: 
    • Welche konkreten Schritte (bspw. schutzbedürftige Gruppen identifizieren und vorbereiten) müssten zum Aufbau von SV unternommen werden?
    • SV mit kommunalen Akteuren vorbereiten: Herausforderungen und Möglichkeiten
    • Ist ein bestimmtes Verständnis von Gewaltfreiheit Voraussetzung für Soziale Verteidigung („strategische Gewaltfreiheit“, innere Haltung)?
  • Während der Praxis: 
    • Wie muss Soziale Verteidigung organisiert sein? Welche Modelle von Widerstandspraxis eignen sich für welchen Anwendungsfall?
    • Braucht Soziale Verteidigung charismatische Führungsfiguren, Märtyrer*innen oder Held*innen, um international Aufmerksamkeit zu schaffen und entsprechende Sichtbarkeit zu erlangen? 
    • Wie viele Menschen müssen gewaltfrei aktiv sein, um erfolgreich zu sein? Ist die „3,5%-Annahme“ von Chenoweth & Stephan haltbar?
    • Was muss für den Schutz der Bevölkerung und der Aktivist*innen vorbereitet werden, und von wem? Welche Lehren können aus der Praxis des „Unbewaffneten Zivilen Schutzes“ gezogen werden?

Folgende Formate sollen im Rahmen des Symposiums angeboten werden können:

  • Paper-Präsentationen
  • Workshops/interaktive Angebote

Konferenzsprache wird voraussichtlich Englisch sein. Es können unter Absprache mit der Konferenzleitung Arrangements gefunden werden, um deutschsprachige Beiträge auf Englisch zu übersetzen.

Bitte reichen Sie ein aussagekräftiges Abstract bis zum 31.3.2024 im Umfang von 2.000-10.000 Zeichen ein. Das Abstract sollte umfassen: Thema und Fragestellung, grobe Skizze des Antwortrahmens, Selbsteinschätzung (theoretische oder praxisbezogene Arbeit), sowie Präsentationsform.

Kontaktinformationen und Einreichung:

Mail: conference@soziale-verteidigung.de

Zitierte Literatur:

Anders Boserup / Andrew Mack (1974): Krieg ohne Waffen? Studie über Möglichkeiten und Erfolge sozialer Verteidigung. Reinbek: rororo aktuell.

Erica Chenoweth / Maria Stephan (2011): Why Civil Resistance works. The Strategic Logic of Nonviolent Conflict. New York: Columbia University Press.

Theodor Ebert (1968): Gewaltfreier Aufstand – Alternative zum Bürgerkrieg. Freiburg i.Br.: Waldkircher Verlagsgesellschaft

Theodor Ebert (1981): Soziale Verteidigung. Waldkirch, Waldkircher Verlagsgesellschaft

Johan Galtung (1982): Anders verteidigen. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung. Reinbek: Rowohlt.

Gernot Jochheim (1988): Soziale Verteidigung – Verteidigung mit einem menschlichen Gesicht. Eine Handreichung. Düsseldorf: Patmos.

Stephen King-Hall (1958): Defence in the Nuclear Age, London 

Adam Roberts (Hrsg.) (1967): The Strategy of Civilian Defence. Non-violent Resistance to Aggression. London 

Stellan Vinthagen (2015): A Theory of Nonviolent Action: How Civil Resistance Works. London: ZED Books.

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