Ein bisschen Frieden? FriEnt-Diskussion zur nationalen Sicherheitsstrategie
Wieviel Frieden und Entwicklung steckt in der nationalen Sicherheitsstrategie? Unter dieser Leitfrage stand eine FriEnt-Veranstaltung am 13. Juli mit Teilnehmer*innen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Im Fokus standen dabei das Leitbild der integrierten Sicherheit und eine erste Bilanz zu den Zielvorgaben der Strategie für die globale Zusammenarbeit. Teil der Diskussion war auch ein feministischer Blick auf Frieden und Sicherheit.
Die erste nationale Sicherheitsstrategie für Deutschland stellt das deutsche Engagement unter den Dreiklang „Wehrhaft. Resilient. Nachhaltig.“ Frieden hat in der Strategie durchaus einen wichtigen Stellenwert; das zentrale Leitbild ist jedoch der Begriff der „integrierten Sicherheit“. Das gilt auch für die Entwicklungspolitik, die als nachhaltige Sicherheitspolitik in der Strategie verankert ist. Für die FriEnt-Diskussion stand die Frage im Mittelpunkt, wie Entwicklung, Frieden und Sicherheit in der Strategie miteinander verknüpft werden, und was die politischen Zielvorgaben für die künftige Zusammenarbeit in und mit Partnerländern bedeuten. Eine erste Positionsbestimmung zum Auftakt der Diskussion gaben dazu drei Impulsbeiträge mit Perspektiven aus Politik und Zivilgesellschaft.
Offene Fragen für die Entwicklungszusammenarbeit
Dr. Jörn Grävingholt (Brot für die Welt, Leiter der Abteilung Politik) stellte für seinen Beitrag die These voran, dass die nationale Sicherheitsstrategie als politische Hülle erst in der Umsetzung und Ausgestaltung konkrete Konturen erhält. Erst mit diesem Aneignungsprozess für die politische Praxis und in der Zusammenarbeit mit globalen Partnern werde sich erweisen, ob die Strategie einen belastbaren Referenzrahmen für die internationale Zusammenarbeit biete. Auch die Vorgaben für die Entwicklungspolitik, die sich künftig stärker an den strategischen Zielen der Bundesregierung ausrichten soll, ließen noch Raum für Interpretation. Was das für die politische Praxis bedeuten kann, lasse sich nicht aus dem Strategietext ableiten, sondern müsse für die konkrete Umsetzung noch erarbeitet und gestaltet werden. Hinzu kämen gegensätzliche Signale durch die Haushaltsplanung, die für die nächsten Jahre deutliche Rückschritte bei der Finanzierung für die Humanitäre Hilfe und für die Entwicklungszusammenarbeit vorsieht.
Der Globale Süden wird in der nationalen Sicherheitsstrategie so nicht benannt; stattdessen verweist die Strategie auf die Zusammenarbeit mit globalen Partnern. Dazu gehören demnach Staaten, die sich zu einer regelbasierten Ordnung auf Grundlage der VN-Charta bekennen und deren Anliegen und Interessen stärkeres Gewicht bekommen sollen. Für die FriEnt-Diskussion stand dazu die Frage im Mittelpunkt, wer solche globalen Partner für Frieden und Sicherheit sein können und wie „bessere und nachhaltige Angebote“ für faire und gleichberechtigte Partnerschaften aussehen können, die in der Strategie angekündigt werden. Neben Staaten wie China, Indien, Indonesien, Brasilien, Mexiko, Nigeria oder Äthiopien spielten dabei auch regionale Organisationen eine zunehmend wichtige Rolle. Das gilt besonders für die Afrikanische Union mit ihrer Friedens- und Sicherheitsarchitektur, aber auch für die regionale Zusammenarbeit in Asien und Lateinamerika. Die Sicherheitsstrategie spricht dazu von einer multipolaren Welt mit systemischer Rivalität, besonders in der Konkurrenz mit China um politische Einflusssphären.
Menschenrechte: Kein „Race to the bottom”
Mit Blick auf die Verständigung über Werte und Interessen als Grundlage für globale Partnerschaften werden glaubwürdige Angebote für eine belastbare Zusammenarbeit deshalb umso wichtiger. Dr. Jörn Grävingholt formuliert dazu drei zentrale Anforderungen an solche globalen Partnerschaften: erstens faire Handelsbeziehungen mit Vorteilen in beide Richtungen, zweitens die Übernahme von Verantwortung für die Folgen der Klimakrise (loss and damages) und die Ernährungsunsicherheit als Ergebnis des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und drittens politisches Handeln im Bewusstsein über Vertrauensverluste durch westliche Interventionen in anderen Konfliktkontexten wie in Afghanistan. Für den Menschenrechts-Fokus der deutschen Politik müsse der Schutz und die Teilhabe für die Zivilgesellschaft im Vordergrund stehen. Besonders in der Konkurrenz mit Staaten wie China sei ein „race to the bottom“ im Hinblick auf den Schutz von Menschen- und Freiheitsrechten fatal. Nur durch den Mehrwert für gesellschaftliche und politische Transformationsprozesse kann das deutsche Engagement demnach Überzeugungskraft entfalten.
Dass solche Transformationsprozesse auch die Überwindung von diskriminierenden und gewaltvollen Machtstrukturen mit einschließen müssen, verdeutlichte der Impuls-Vortrag von Johanna Schaefer-Kehnert (Syspons, Managerin für den Bereich „Feminism and Social Justice in International Cooperation“). Sie beleuchtete in ihrem Beitrag feministische Ansätze und Perspektiven für die Umsetzung der nationalen Sicherheitsstrategie und stellte dazu die Ziele und Voraussetzungen für integrierte Sicherheit in den Mittelpunkt. Das politische Leitbild der integrierten Sicherheit greift demnach wichtige Ziele und Elemente für eine feministische Außen- und Entwicklungspolitik auf. Ziel des Engagements ist menschliche Sicherheit, also der Schutz und gleichberechtigte Teilhabe für alle Gruppen der Bevölkerung.
Hausaufgaben für eine feministische Politik: „Walk the talk at home“
Jenseits dieser Zielvorgaben fehle es aber an einer konsequenten Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen und Hindernissen für menschliche Sicherheit im Zusammenhang mit Macht, Diskriminierung und Ausgrenzung. Dazu gehörten u.a. patriarchale, rassistische, und koloniale Strukturen sowie zentrale Quellen der Unsicherheit für Frauen und marginalisierte Gruppen. Ohne eine solche kritische Reflexion der gesellschaftlichen und politischen Machtverhältnisse bestehe das Risiko, dass die Unsicherheit vulnerabler Gruppen durch das Engagement sogar verstärkt werde. Das betrifft beispielsweise die Verknüpfung von Sicherheits- und Migrationspolitik oder die Rohstoff- und Energiesicherheit, wenn Menschen im Globalen Süden keinen ausreichenden Zugriff auf Ressourcen haben. Feministische Ansätze sollten deshalb nicht als Silothema der Außen- und Entwicklungspolitik verstanden, sondern mit weiteren Politik- und Handlungsfeldern verknüpft und ressortübergreifend umgesetzt werden. Für eine Politik der integrierten Sicherheit müssten auch diskriminierende und gewaltvolle Machstrukturen als Quelle von Unsicherheit innerhalb der Gesellschaft in den Blick rücken. Dafür müssten innere und äußere Sicherheit konsequent verknüpft werden – auch um die Glaubwürdigkeit der feministischen Außen- und Entwicklungspolitik gegenüber Partnern zu gewährleisten.
Verlässliche Partnerschaften als Aufgabe der Entwicklungspolitik
Eine glaubwürdige Politik, besonders in der Zusammenarbeit mit Partnerländern war auch das Leitmotiv für den Einstiegsvortrag von Jochen Steinhilber (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - BMZ, Leiter der Abteilung „Flucht, Krisenprävention, Zivilgesellschaft“). Die nationale Sicherheitsstrategie versteht die Entwicklungspolitik als nachhaltige Sicherheitspolitik und unterstreicht dabei den Fokus auf Prävention. Gleichzeitig verknüpft die Strategie die Entwicklungspolitik aber auch mit der Versorgungssicherheit in Deutschland und macht transparent, dass es bei der Verteidigung von Werten und der Durchsetzung von Interessen zu Zielkonflikten kommen kann, die politische Abwägungsprozesse erfordern. Für die globale Zusammenarbeit ergeben sich daraus wichtige Anforderungen für eine kohärente Verknüpfung von Werten und Interessen unter dem Leitbild der integrierten Sicherheit.
Die Gestaltung der Entwicklungspolitik entlang strategischer Interessen bedeute immer auch, verlässliche Partnerschaften aufzubauen. Entscheidend für eine nachhaltige Sicherheitspolitik seien belastbare Netzwerke für eine faire Zusammenarbeit entlang gemeinsamer Interessen. Dazu gehörten auch stabile und sozial-ökologische Lieferketten, die zugleich die Versorgungssicherheit in Deutschland und die wirtschaftlichen Chancen der Länder im Globalen Süden unterstützen. Eine unverzichtbare Voraussetzung für solche Partnerschaften sei gegenseitiges Vertrauen, auch und besonders als Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit. Versäumnisse und Doppelstandards in der Pandemie- und Migrationspolitik hätten die Vertrauensbeziehung mit vielen Staaten im Globalen Süden beschädigt und seien mitverantwortlich für das Zurückweisen westlicher Positionen im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Abwägungs- und Aushandlungsprozesse bleiben demnach ein zentrales Element für die Umsetzung der Sicherheitsstrategie – für die Abstimmung zwischen den Ressorts genauso wie für die Zusammenarbeit mit globalen Partnern. Eine Kernfrage für eine Politik der integrierten Sicherheit bleibe der Umgang mit Autokratien. Für globale Herausforderungen wie für die Bewältigung der Klimakrise werde es auch Kooperation mit autokratischen Ländern geben müssen. In anderen Bereichen müsse genau geschaut werden, mit wem eine Zusammenarbeit möglich ist und warum. Die Vorgaben aus der Strategie in praktisches Politikhandeln zu übersetzen, sei jetzt die gemeinsame Aufgabe für alle Ressorts und für den Dialog mit weiteren Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft und in den Partnerländern.
Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Finanzen – dieser Dreiklang aus Anspruch und Umsetzung prägte schließlich die Abschlussdiskussion mit ersten Überlegungen zur politischen Praxis für die Ausgestaltung der Sicherheitsstrategie. Ein entscheidender Faktor dabei ist demnach eine transparente Kommunikation und Vermittlung politischer Entscheidungen, besonders für die Ausrichtung an strategischen Interessen. Internationale Politik und Zusammenarbeit berührt immer auch Verteilungsfragen über den Zugang zu Ressourcen, nach globaler Gerechtigkeit und Machtstrukturen innerhalb und zwischen Gesellschaften. Damit hängt die Glaubwürdigkeit deutscher Politik nicht nur davon ab, dass Werte und Interessen nach innen und außen deutlich kommuniziert werden, sondern auch davon, mit welchen Finanzmitteln die Politikziele verknüpft werden. Deutlich kritisiert wurden in diesem Zusammenhang die Einschnitte in der Entwicklungspolitik, während klimaschädliche Subventionen weitgehend bestehen blieben. Auch das sende eine klare Botschaft an den Globalen Süden. Stattdessen müssten kurz- und langfristige Interessen für die deutsche Politik stärker verknüpft und mit strukturellen Veränderungen verbunden werden. Das betrifft auch eine konsequente Umsetzung feministischer und intersektionaler Ansätze in allen Politikbereichen. Sicherheit ist nur dann integriert und nachhaltig, wenn die Überwindung von Diskriminierung und Ungleichheit nicht nur die Außen- und Entwicklungspolitik betrifft, sondern Rechte, Ressourcen und Repräsentanz für alle Gruppen der Bevölkerung auch als nationale Aufgabe versteht.
Nächste Schritte: Verknüpfung mit den Leitlinien
Daraus ergibt sich auch eine Anforderung für die Überarbeitung der Leitlinien der Bundesregierung „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“. Wie sich die Ziele und Schwerpunkte der Leitlinien und der Sicherheitsstrategie für die Friedens- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung möglichst kohärent verknüpfen lassen, war das Thema für eine erste Bilanz aus der Diskussion. Alle Teilnehmer*innen des Panels waren sich darüber einig, dass beide Dokumente sich gut ergänzen, nun aber Nachschärfungen nötig werden, damit sich zentrale Inhalte aus der Strategie auch in den Leitlinien wiederfinden. Eine Überarbeitung und Aktualisierung der Leitlinien biete so die Chance, die friedenspolitische Komponente der Sicherheitsstrategie zu stärken und wichtige Schnittstellen aufzugreifen. Auch die Erfahrungen aus den Entwicklungen in Afghanistan und mit dem bisherigen Krisenengagement in der Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik könnten so in die Analyse eingehen.
Welche Schlussfolgerungen sich daraus für eine Politik der integrierten Sicherheit ergeben, wird FriEnt auch in weiteren Veranstaltungen aktiv mitverfolgen. Dazu gehört auch eine gemeinsame Dialogreihe mit der Berghof Foundation und der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS). Einen Überblick zu den Ergebnissen aus dem Auftaktworkshop können Sie hier nachlesen.