27. Juni 2022

Förderprogramm zivik: Interview mit Ulugbek Nurumbetov

Der Boxer

Das Förderprogramm zivik stellt in diesem Porträt Ulugbek Nurumbetov vom Institute for Peace and Development (IPD) vor. Durch interaktive, spielbasierte Methoden setzt sich die Organisation seit Jahren für die Überwindung von gesellschaftlicher Polarisierung und Gewalt in Kirgistan ein.

Das Interview wurde von Olga Statnaia geführt.

Ulugbek Nurumbetov, Präsident von IPD, hat das Projekt "Peace Clubs" mit Kolleg:innen entwickelt. Jugendliche werden in der Herausbildung ihrer sozialen Kompetenzen geschult und damit eine verantwortungsvolle und aktive Generation gefördert, die ein neues, inklusives und friedliches Kirgistan bilden soll.

Was sind die größten Herausforderungen bei der Arbeit an komplexen Themen wie gegenseitiger Toleranz und sozialem Zusammenhalt?

Eine der komplexesten Herausforderungen liegt in der Schwäche der bürgerlichen Identität in der kirgisischen Gesellschaft, die durch starke Polarisierung und Fragmentierung entlang verschiedener Linien gekennzeichnet ist: interethnisch, regional, säkular-religiös, traditionalistisch-liberal usw.  Das Problem der schwach ausgeprägten bürgerlichen Identität ist eng mit dem postkolonialen Erbe des Landes sowie der Tatsache verbunden, dass es in der Gesellschaft keinen Konsens über die Zukunft des Landes gibt. All dies führt zu einer Orientierungslosigkeit bei der jüngeren Generation.

Im 19. Jahrhundert wurde Kirgisistan in das Russische Reich integriert. Nach der bolschewistischen Revolution von 1917 wurde unser Land Teil der UdSSR. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 erklärte Kirgisistan seine Unabhängigkeit. Alle ehemaligen Präsidenten des unabhängigen Kirgisistans, die das Land länger als vier bis fünf Monate regierten, wurden entweder abgesetzt, sind untergetaucht oder im Gefängnis.  Derzeit gilt Kirgisistan als eines der politisch instabilsten Länder der Welt. Die Wirtschaft befindet sich in einer tiefen Krise und die Armutsrate wird laut Expert:innen weiter steigen. Das macht die friedensfördernde Arbeit in Kirgistan sehr schwierig.

Sie sehen in der jungen Generation den Schlüssel für den Abbau von Spannungen zwischen verschiedenen kulturellen, sozialen und ethnischen Gruppen. Welche Fähigkeiten und Kenntnisse brauchen Ihrer Meinung nach die jungen Menschen, um sich besser zu verstehen?

Für junge Menschen ist es wichtig, mehr über Konflikte zu wissen. Es ist entscheidend, nicht nur den sichtbaren Teil eines Konflikts zu verstehen, sondern sich auch seiner versteckten Aspekte bewusst zu sein. Dies hilft den Jugendlichen, verschiedene Formen von Gewalt zu erkennen, Positives von Negativem zu unterscheiden und Analysetechniken anzuwenden.

Es ist notwendig, den Jugendlichen beizubringen, wie man Konflikte löst, da sie oft versuchen, diese mit Gewalt zu regeln. Konfliktlösung erfordert jedoch Erfahrung und Übung. Daher können verschiedene interaktive und auf Spielen basierende Methoden zusammen mit Simulationsspielen eine hervorragende Lernmöglichkeit bieten.

Es ist genauso wichtig, junge Menschen mit verschiedenen Fähigkeiten auszustatten, zum Beispiel mit kommunikativen Kompetenzen, mit Techniken des konstruktiven Dialogs, Empathie sowie analytischen Fähigkeiten. Die Entwicklung dieser Kenntnisse führt zur Herausbildung einer jungen Generation, die offen ist für Dialog, leicht eine gemeinsame Sprache mit anderen findet und gelingende Beziehungen aufbaut. Eine Generation, die sich in andere Menschen einfühlen kann und dabei sowohl ihre eigenen Interessen als auch die Interessen anderer klar versteht.

Durch welche Zugänge und Mittel können Brücken statt Mauern in diesem Kontext gebaut werden?

In Kirgisistan müssen wir in der jungen Generation eine gemeinsame bürgerliche Identität entwickeln. Kirgisische Jugendliche sollten sich als bewusste, verantwortungsvolle, aktive und gleichberechtigte Bürger:innen des multiethnischen und multikonfessionellen Kirgisistans verstehen, die die Werte einer offenen, inklusiven und vielfältigen Gesellschaft teilen. Dies erfordert, verschiedene Lern- und Kommunikationsplattformen für junge Menschen anzubieten, durch die sie neues Wissen erwerben, kritisches Denken entwickeln oder Probleme ihrer Generation und der Gesellschaft offen diskutieren und lösen können. Auch sollten diese Plattformen dazu befähigen, Partnerschaften aufzubauen, um mit verschiedenen Akteuren zu interagieren.

Ihr Projekt verfolgt einen innovativen Ansatz, indem Schulen als Ausgangspunkte für die Konflikttransformation genutzt werden. Hat sich dieser Ansatz bewährt?

Die Schule ist die wichtigste Institution, in der die sozialen Kompetenzen eines Kindes ausgebildet werden. Leider schenkt das kirgisische Bildungssystem der Entwicklung solcher Fähigkeiten wenig Aufmerksamkeit. Der reguläre Unterrichtsplan konzentriert sich ausschließlich darauf, den Kindern Wissen über Standardfächer mitzugeben. Ihnen sollte jedoch vermittelt werden, die erhaltenen Informationen auch anwenden zu können, einschließlich der Know-hows, wie man erfolgreich mit bestimmten Menschen oder in verschiedenen Gruppen interagiert und kommuniziert, wie man Ziele erreicht, einen Konsens findet und gemeinsam Konflikte löst. Das Projekt zentriert daher die Entwicklung sozialer Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen durch Peace Clubs, die im Rahmen von Schulen eingerichtet werden. Peace Clubs sollen Orte sein, an denen sich Kinder nach der Schule treffen können, um verschiedene sozial wirksame Initiativen zu planen und durchzuführen. Die zurückliegenden Erfahrungen mit den bereits bestehenden Peace Clubs haben ihren Mehrwert gezeigt: Sie konnten in kurzer Zeit eine große Anzahl der Projektzielgruppen erreichen. Wichtig ist auch, dass die Peace Clubs neben den Schulverwaltungen ebenso von den lokalen Gemeinden und Eltern aktiv unterstützt wurden. Die Peace Clubs sollen einen kleinen Beitrag für ein friedliches Kirgistan leisten.