Aufruf für eine lebendige Demokratie

Empfehlungen anlässlich der Verhandlungen zum Koalitionsvertrag

Die Parteien, die nun über eine Regierungskoalition verhandeln, sind sich weitgehend darin einig, dass Deutschland vor großen Veränderungen steht. Globale Krisen wie Migrationsbewegungen, Covid-19-Pandemie und Auswirkungen der Klimakrise stellen Politik und Gesellschaft vor neue Herausforderungen. Große Vorhaben wie Energiewende, Infrastrukturausbau und Digitalisierung erfordern umfassende Anpassungsleistungen.

Bei der Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels gilt es nicht nur, Krisen abzuwenden oder abzumildern, sondern auch dazu beizutragen, dass wirtschaftliche und soziale Sicherheit gewahrt sowie unsere Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Ebenso dringend ist es aber, die mit der Transformation verbundenen Herausforderungen für unsere Demokratie aktiv anzugehen. Daran müssen alle gesellschaftlichen Gruppen beteiligt sein.

Umbrüche, Krisen und gesellschaftlicher Wandel, das haben die letzten Jahre gezeigt, fordern die Grundlagen unseres Zusammenlebens heraus: Wo sich Ungleichheit – zwischen Stadt und Land, Ost und West, sozialen Schichten, Minderheiten und Mehrheiten – verschärft, wird der Nährboden für Entfremdung und Radikalisierung bereitet. Gleiches gilt, wenn Menschen mit Entscheidungen konfrontiert werden, die ihr Leben verändern, an denen sie jedoch keinen Anteil hatten und die sie nicht nachvollziehen können (z.B. Energieparks im ländlichen Raum, Verkehrswende, Strukturwandel und Migration, Verlagerung von Produktionsstätten). Es entstehen Konfliktlinien, Bruchstellen und Spannungen, die von denjenigen, die die plurale Demokratie unserer offenen Gesellschaft ablehnen, strategisch genutzt werden, um Enttäuschung und Frust zu Triebkräften einer nachhaltigen Demontage demokratischer Institutionen und gesellschaftlichen Zusammenhalts zu machen.

Bereits heute übernehmen wir als zivilgesellschaftliche Fachorganisationen der Demokratieentwicklung Verantwortung bei gesellschaftlich wichtigen Aufgaben: in der Arbeit gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit; in der Stärkung und Mitsprache von durch Gewalt Betroffenen; und durch die prozessorientierte, konstruktive Bearbeitung gesellschaftlicher Konflikte. Angesichts der anstehenden und notwendigen Transformationen wird der Einsatz unserer Expertise noch wichtiger. Er wird ein entscheidender Beitrag für den Erfolg beim Umgang mit den gesellschaftlichen Herausforderungen sein. Unsere Kenntnisse, Konzepte und Kompetenzen können eingesetzt werden. Sie brauchen jedoch die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Bedeutung.

Für eine resiliente und zukunftsfähige Gesellschaft ist eine langfristige Perspektive der Demokratieentwicklung erforderlich, die sich auf eine strategische Zusammenarbeit zwischen Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft stützt, Synergien entwickelt und Strategien umsetzt.

Dieses gesellschaftliche Zukunftsprogramm verbindet die Handlungsansätze von Radikalisierungsprävention, Opferberatung, politischer und diskriminierungskritischer Bildungsarbeit, Bürger*innenbeteiligung, Engagementförderung und prozessorientierter, konstruktiver Konfliktbearbeitung.

Wir fordern daher:

  • Für Schutz und Förderung der Demokratie braucht es die sich gegenseitig ergänzenden Handlungsbereiche der Radikalisierungsprävention, Bildungsarbeit und Konfliktbearbeitung. Sie müssen in Form von strategisch ausgerichteten Leitlinien der Bundesregierung für eine plurale und zukunftsfähige Gesellschaft zusammen gedacht und nachhaltig gestärkt werden. Diese Leitlinien müssen ressortübergreifend, öffentlich und parlamentarisch verankert und in Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft und Forschung entwickelt werden.
  • Die Umsetzung dieser Leitlinien muss parlamentarisch und gesellschaftlich verstetigt werden. Ein Demokratiefördergesetz, das bewährte Ansätze, Konzepte und Instrumente nachhaltig stärkt und eine langfristige und unbürokratische Förderung ermöglicht, ist ein erster, wichtiger Beitrag dafür. Es stärkt relevante zivilgesellschaftliche Strukturen und fördert die Weiterentwicklung von innovativen Modellen. Das Gesetz soll die sich ergänzenden Handlungsbereiche Radikalisierungsprävention und Stärkung von Betroffenen, politische und diskriminierungskritische Bildungsarbeit, Engagementförderung und prozessorientierte, konstruktive Konfliktbearbeitung klar benennen und anerkennen. Es soll die Potenziale der demokratischen Gestaltung und Brückenbildung in den Organisationen und Initiativen des zivilgesellschaftlichen Engagements nachhaltig stärken.
  • Die Bundesprogramme „Demokratie leben!“ und „Zusammenhalt durch Teilhabe“ sollen ausgebaut werden und die zivilgesellschaftlichen Strukturen in diesen Handlungsbereichen auf Bundes-, Landes und kommunaler Ebene langfristig fördern.

Darüber hinaus ist notwendig:

  • Eine Aufwertung des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement zu einem Ausschuss für Demokratie und Engagement (analog zum Menschenrechtsausschuss) als kontinuierliches Forum der Strategieentwicklung, Monitoring, Weiterentwicklung.
  • Ein regelmäßig stattfindender Demokratiegipfel (analog zum Integrationsgipfel) als Forum des Austausches, gemeinsamen Lernens und der Abstimmung zwischen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, Wissenschaft und politischen Entscheidungsebenen. Damit bietet sich auch die Möglichkeit, die Debatte um Herausforderungen und Weiterentwicklung unserer Demokratie in die Öffentlichkeit zu tragen.
  • Eine starke Demokratie braucht mehr Expertise und Fähigkeiten im Umgang mit Konflikten. Strukturen der Konfliktbearbeitung und Bürger*innenbeteiligung im Rahmen zivilgesellschaftlich-staatlicher Zusammenarbeit müssen geschaffen und nachhaltig gefördert werden. Erprobte Beratungs- und Unterstützungsangebote für Kommunen im Umgang mit Konflikten sind auszubauen. Sinnvoll ist der Aufbau eines Kompetenznetzwerks Zivile Konfliktbearbeitung.

Auf diese Weise werden die Akteure der Demokratieentwicklung im Rahmen einer zivilgesellschaftlich-staatlichen Zusammenarbeit einen verantwortlichen Beitrag zur Überwindung der sich abzeichnenden Herausforderungen und zur Bewältigung der anstehenden Transformationsaufgaben leisten können.

 

Zum mitunterzeichnen als Person oder Organisation, senden Sie eine kurze Nachricht (mit Name, Funktion) an zkbinland@pzkb.de.

 

Erstunterzeichnende:

Mitunterzeichnende:

Prof. Dr. Katrin Grossman, Stadt- und Raumsoziologie, Fachhochschule Erfurt

Miteinander e.V.

Pascal Begrich, Geschäftsführer, Miteinander e.V.

Forum Crisis Prevention e.V.

Werkstatt für Gewaltfreie Aktion Baden - Gewaltfrei Leben lernen e.V.

Prof. Dr. Josef Freise, Neuwied

Petra Schultz, Kreisjugendpflegerin, Hof

Rainer Uthmann, Kinder- und Jugendbüro/Familienzentrum, Samtgemeinde Radolfshausen

Prof. Dr. Jürgen Straub, Lehrstuhl für Sozialtheorie und Sozialpsychologie, Ruhr-Universität Bochum

Wolfgang Hinz-Rommel, Abteilungsleiter Freiwilliges Engagement, Diakonisches Werk der evangelischen Kirche in Württemberg e.V.

Dr. Sibylle Brosius, Gemeinderätin

Alexander Krahmer, Stadt und Umweltsoziologie, Helmholtz Zentrum für Umweltforschung, Leipzig

Aninka Ebert, Studienleiterin, Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Daniela von Bremen, Integrationsagentur Bottrop

Benjamin Eisenberg, Kabarettist, Bottrop

Sabine Laabs-Buschbacher, ReactEU, ‚KontaktRäume aufbauen – Zusammenhalt schaffen‘

Prof. Dr. Hanne-Margret Birckenbach, Friedens- und Konfliktforscherin.

Dr. Ute Finckh-Krämer, MdB a.D.

Krischan Oberle, Vorstand, EIRENE

Sven Reuter, Vorstand, Plattform Zivile Konfliktbearbeitung

Dr. Cathleen Bochmann, Technische Universität Dresden, Kompetenzzentrum Krisen-Dialog-Zukunft

Heidi Sinning, ISP – Institut für Stadtforschung, Planung und Kommunikation der FH Erfurt

Verein für Internationale Jugendarbeit Bundesverein e.V.

Isabella Bauer, Konfliktberaterin

Kathrin Treichel, Referat Südasien, Brot für die Welt

Freiwilligen-Agentur Halle-Saalekreis e.V.

Marike Blunck, Beraterin, Kompetenzzentrum Kommunale Konfliktberatung, VFB Salzwedel e.V.

Frank Rosenbach, Studienleiter, Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Bernd Lieneweg

Gerlinde und Martin Rambow, Weimar

Gerda Gebhardt, Schwabach

Friedlinde Mann

Maria Reidick-Rominski

Bernhard und Irene Siedler

Ulrike Neumann, Freiburg

Bernhard Völk, Augsburg

WIlfried Reichel, Kreuztal

Ulrich Hohlbein, Dresden

Wolfgang Geuer

Ilka Armstroff

Ingetraud Behnke

Brigitte Lübbers

Ingeborg Vogler, Kempen

Norbert Bogerts, Welschbillig

Helga und Konrad Tempel, Ahrensburg

Schulamith Weil, Sozialpädagogin, Küsten

Eckehard Binder, Pfarrer i. R., 38124 Braunschweig

Frieder Schöbel

Hanne Hutzler

Siegfried Menthel

Erdmute Remoli

Bernd Baier

Dr. Roderich Wahsner

Helmut Käss

Frieder Schöbel

Renate Schöbel

 

 

 

Dieses Papier wurde initiiert von der Arbeitsgruppe Zivile Konfliktbearbeitung im Inland der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung.
Kontakt: Bernd Rieche, Koordinator, zkbinland@pzkb.de

Aufruf im PDF-Format zum Herunterladen:
Lebendige Demokratie stärken