P. Spiegel
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2017

Gewaltfreiheit: Stil einer Politik für den Frieden

In seiner diesjährigen Botschaft zum Welttag des Friedens spricht Papst Franziskus davon, dass wir es heute mit einem schrecklichen, „stückweisen“ Weltkrieg zu tun haben, und meint damit die vielen – inner- wie zwischenstaatlichen – Kriege in verschiedenen Ländern und Kontinenten, auch die Bürgerkriege mit internationaler Beteiligung, wie wir sie gerade unter anderem in Syrien und Jemen erleben.

Auch Terrorismus, Kriminalität und unvorhersehbare bewaffnete Übergriffe sowie Formen des Missbrauchs, denen z.B. Migrantinnen und Migranten sowie Opfer des Menschenhandels ausgesetzt sind, nennt der Papst als Quellen der Gewalt. Von Vorteil sei diese nur für „einige wenige ‚Herren des Krieges‘“. Auf diese Gewalt mit neuer Gewalt zu reagieren kann nach Überzeugung des Papstes nicht die Antwort sein. „Die Gewalt ist nicht die heilende Behandlung für unsere zerbröckelnde Welt. Auf Gewalt mit Gewalt zu reagieren führt bestenfalls zu Zwangsmigrationen und ungeheuren Leiden, denn große Mengen an Ressourcen werden für militärische Zwecke bestimmt und den täglichen Bedürfnissen der Jugendlichen, der Familien in Not, der alten Menschen, der Kranken, der großen Mehrheit der Erdenbewohner entzogen. Schlimmstenfalls kann sie zum physischen und psychischen Tod vieler, wenn nicht sogar aller führen.“ So der Papst. Die Antwort auf die Gewalt dieser Tage kann seiner Überzeugung nach nur Gewaltfreiheit als Stil einer Politik für den Frieden sein.

Diese Botschaft von Papst Franziskus zum 50. Weltfriedenstag könnte besser nicht passen in die politische Diskussion, die wir aktuell in Deutschland und Europa führen. Angesichts der großen Herausforderungen und der Tatsache, dass der Terrorismus auch in Deutschland angekommen ist, wird der Ruf nach härteren Gesetzen und nach der „Lösung“ von bewaffneten Konflikten durch den Einsatz militärischer (Gegen-)Gewalt lauter. Dabei ist nachgewiesen, dass der militärische Sieg einer Partei über eine andere für eine gewisse Zeit die Waffen vielleicht schweigen lässt, in der Regel aber nicht zu einem dauerhaften Frieden führt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kämpfe wieder aufflammen, ist hoch. Deshalb ist es so wichtig, beides im Auge zu haben: Sicherheit im engeren Sinne und das Ziel, die Waffen schweigen zu lassen; aber auch das Ziel eines dauerhaften Friedens, der menschlicher Sicherheit verpflichtet ist und der die Abwesenheit offener und direkter Gewalt UND die Abwesenheit struktureller Gewalt erfordert. Um es mit den Worten der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ zu sagen: wir brauchen eine Welt, in der alle Menschen „ohne Furcht und ohne Not“ leben können. Mit dem Beitritt zur UN erkennt jeder Staat diese Erklärung an – doch von der Umsetzung, so scheint es, entfernen wir uns gerade mehr, als wir ihr näher kommen.

Vom Frieden her denken – Gerechtigkeit schafft Frieden: Es ist höchste Zeit, den Fokus unseres Denkens zu verändern. Ein Perspektivwechsel ist angesagt. Statt von der auf Krisenreaktion fokussierten Sicherheitslogik müssen wir vom Frieden her denken und unseren Blick viel stärker als bisher auf bekannte und neue Möglichkeiten zur Gewaltprävention und auf zivile Maßnahmen der Krisenbearbeitung richten. Schon die üblicherweise verwendeten Begriffe führen in die Irre. Immer wieder hören und lesen wir, dass es um „Konfliktprävention“ gehe. Doch Konflikte sind nicht per se schlecht. Sie sind vielmehr Teil des alltäglichen Lebens und jeder Gesellschaft; und sie können Motor für nötige und sinnvolle Veränderung sein. Ohne Konflikte würden sich Gesellschaften nicht verändern. Es geht nicht darum, Konflikte zu vermeiden; es geht darum, sie ohne Anwendung von Gewalt und im gerechten Interessensausgleich zu bearbeiten und zu lösen. Dort, wo Menschen keine Lebensperspektive haben, wo die Jugendarbeitslosigkeit in Armut und Frustration führt, wo Gewalt und der reine Überlebenskampf das Leben in der Familie und der Gesellschaft bestimmt, finden auch extreme Ansichten aller Couleur und terroristische Ideologien reichen Nährboden. Ein zutiefst ungerechtes Weltwirtschaftssystem, das dazu führt, dass Wenige immer reicher und Viele immer ärmer werden, tut ein übriges, diesen Trend zu verschärfen und den dramatischen Zerfall staatlicher Strukturen weiter zu beschleunigen. 2030 werden Schätzungen der OECD zufolge mehr als 60 % aller Menschen, die in Armut leben, in Regionen zerfallen(d)er Staatlichkeit leben.

Autor:in
P. Spiegel
Herausgeber:in
Misereor
Erscheinungsjahr
2017
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