Verlierer und Gewinner im Geiselpoker
Fünfeinhalb Monate – von Ende April bis Mitte September dauerte die Geiselnahme auf der philippinischen Insel Jolo. Doch so grell das Geiseldrama auch medial ausgeleuchtet wurde, so unterbelichtet blieben die wahren Hintergründe, der Krieg der Regierenden gegen die Bevölkerung in dieser Region und das desaströse Verhalten der Krisenstäbe in den Heimatländern der ursprünglich 21 von der ostmalaysischen Ferieninsel Sipadan Entführten. Rainer Werning mit einem Rückblick auf Gewinner und Verlierer des Geiselpokers.
Während Manilas Chefunterhändler Roberto Aventajado wochenlang lavierte und wiederholt die „alsbaldige Freilassung der Geiseln“ suggerierte, setzten die Krisenstäbe in Berlin, Paris und Helsinki auf die Friedfertigkeit und das Verhandlungsgeschick von Präsident Joseph Ejercito Estrada. Beide Rechnungen gingen nicht auf. Stattdessen schraubten die Kidnapper der Abu Sayyaf ihre Lösegeldforderungen in die Höhe, ermuntert durch die Zahlungsbereitschaft malaysischer Geschäftsleute und westlicher Verleger. »Hilfsprojekte« und »Entwicklungsgelder« – angeblich für Orangen, Mango und Kaffeeplantagen – sollten locker gemacht werden, dann, hieß es von offizieller Seite, seien die Kidnapper bereit, „schon am nächsten Tag“ weitere Geiseln freizulassen.