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26. November 2018

Kolumbien: Menschenrechtsschutz muss Vorrang haben vor Wirtschaftsinteressen

Während Kolumbiens Außenminister Carlos Holmes Trujillo García in Deutschland für Wirtschaftsinvestitionen in seinem Heimatland wirbt, eskaliert dort weiter die Gewalt gegen die Zivilgesellschaft. 109 Menschenrechtsverteidiger fielen allein in diesem Jahr Anschlägen zum Opfer. Erst im September wurden erneut zwei Angehörige von Aktivisten getötet, die sich gegen das von der deutschen KfW-Ipex-Bank mitfinanzierte Wasserkraftwerk Hidroituango engagieren.

Kolumbiens Regierung muss die tödlichen Angriffe gegen friedliche Menschenrechtsverteidiger verhindern und sie beschützen, fordert Amnesty International anlässlich des Deutschland-Besuches von Carlos Holmes Trujillo García. Der kolumbianische Außenminister wird am Donnerstag (22.11.) auf Einladung der Bundesregierung zu einer Wirtschaftskonferenz in Berlin erwartet. Am Rande wird er auch Bundesaußenminister Heiko Maas treffen.

„In den vergangenen drei Jahren sind fast 400 Aktivisten in Kolumbien getötet worden“, sagt Matthias Schreiber, Kolumbien-Experte bei Amnesty International in Deutschland. „Viele der Anschläge richteten sich gegen Menschen, die sich friedlich gegen Wirtschaftsprojekte gewehrt haben, weil sie die ökonomische, soziale und kulturelle Existenz ganzer Gemeinschaften bedrohten. In mehr als 90 Prozent der Fälle sind die Verantwortlichen straffrei davongekommen. Bundesaußenminister Heiko Maas muss seinem kolumbianischen Amtskollegen deutlich machen, dass Kolumbien international dazu verpflichtet ist, Menschenrechtsverteidiger zu schützen und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen.“

Seit im November 2016 die kolumbianische Regierung und die Guerilla-Gruppe FARC einen Friedensvertrag unterzeichneten, haben tödliche Angriffe auf Kolumbiens Zivilgesellschaft drastisch zugenommen. Dem Programa Somos Defensores zufolge, einem Zusammenschluss von kolumbianischen Menschenrechtsorganisationen, wurden allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres mindestens 109 Aktivisten ermordet. Im gesamten Vorjahr waren es 106. Bisher hat die seit August 2018 amtierende Regierung von Präsident Iván Duque Márquez nicht genug unternommen, um der Gewalt in Kolumbien Einhalt zu gebieten.

In diesem Jahr wurden insgesamt sechs Mitglieder der Menschen- und Umweltrechtsbewegung Movimiento Ríos Vivos Antioquia beziehungsweise deren Angehörige getötet. Andere Mitglieder erhalten Todesdrohungen. Das Movimiento Ríos Vivos Antioquia engagiert sich seit Jahren gegen gravierende Menschenrechtsverstöße im Zusammenhang mit dem Bau des Wasserkraftwerkes Hidroituango im Departement Antioquia. Dieses Projekt wird unter anderem von der deutschen KfW-Ipex-Bank, einer hundertprozentigen Tochter der staatlichen KfW, mit einem Kredit über 100 Millionen US-Dollar gefördert. Die Allianz, die Münchener Rück und die Hannover Rück sind mit Versicherungs- und Rückversicherungsdienstleistungen an Hidroituango ebenso beteiligt wie der französische Alstom-Konzern, der mit der Siemens-Transportsparte Siemens Mobility fusioniert.

„Die im Umfeld des Projektes begangenen Menschenrechtsverletzungen müssen von unabhängigen Stellen aufgearbeitet werden und die Betroffenen Wiedergutmachung erhalten“, fordert Schreiber. „Nicht zuletzt sollten sich auch die an Hidroituango beteiligten deutschen Unternehmen für diese Anliegen einsetzen“, sagt Schreiber. „Die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten von Unternehmen müssen gesetzlich festgeschrieben werden. Das Beispiel Hidroituango macht deutlich, dass es nicht ausreicht, es Unternehmen zu überlassen, freiwillig ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. So sieht es der im Dezember 2016 verabschiedete Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte der Bundesregierung vor“, sagt Schreiber.

Auch pax christi sowie Organisationen mit langjährigen Partnerschaften mit der kolumbianischen Zivilgesellschaft fordern Außenminister Maas dazu auf, sich für eine effektive Umsetzung des Vertrags durch die Regierung Duque gegenüber seinem Amtskollegen Carlos Holmes Trujillo einzusetzen und bei dessen Besuch nachdrücklich für den Schutz von Menschenrechtsaktivist*innen und die Rechte der Opfer zu pochen.

"Wir sind alarmiert, weil die Morde an Menschenrechtsverteidiger*innen in Kolumbien ein dramatisches Ausmaß erreichen und 2018 noch zugenommen haben", erklärt Margaret Buslay, von pax christi Deutschland. "Der kolumbianischen NRO "Somos Defensores" zufolge wurden 2018 in den ersten neun Monaten mindestens 109 Aktivist*innen ermordet, mehr als im gesamten Jahr 2017. Betroffen sind vor allem Führungspersonen sozialer Organisationen im ländlichen Raum. Viele von ihnen setzen sich für Landrückgabe ein, gegen den Abbau von Kohle und anderen Rohstoffen, große Infrastrukturprojekte wie das Staudammprojekt Hidroituango oder gegen landwirtschaftliche Großprojekte wie z.B. Ölpalmplantagen. Vor allem muss die kolumbianische Regierung für die effektive Verfolgung der Verantwortlichen für diese Morde, insbesondere neo-paramilitärischer Gruppen, sorgen", so Buslay weiter.
 
"Beim Besuch des kolumbianischen Außenministers steht der Beitrag der Wirtschaft für den Friedensprozess im Zentrum. Über Jahrzehnte hinweg hat die Wirtschaft jedoch einen großen Beitrag zum bewaffneten Konflikt und zu Menschenrechtsverletzungen geleistet, was weitgehend straflos geblieben ist", erklärt Alexandra Huck von kolko - Menschenrechte für Kolumbien e.V.. "Die Unternehmen können bis heute von Verbrechen profitieren. Oft konnten sie auf die Duldung oder gar Unterstützung von staatlichen Stellen zählen. Hier braucht es endlich Aufklärung. Es ist erfreulich und notwendig, dass Wirtschaftssektoren den Friedensprozess unterstützen wollen. Dies darf aber nicht über die Rolle von Wirtschaftsakteuren im Konflikt hinwegtäuschen, ihrer strafrechtlichen Verfolgung entgegenstehen oder die Wiedergutmachung für Opfer schmälern."
 
Präsident Duques Partei des Centro Democrático treibt im Kongress Änderungen an der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden voran. Kolumbianische Menschenrechts­organisationen warnen, dass diese die Sondergerichtsbarkeit schwächen und die Straflosigkeit für Angehörige der Sicherheitskräfte fördern können. "Außenminister Maas sollte darauf drängen, dass die kolumbianische Regierung die Rechte der Opfer im Friedensprozess schützt. Das im Friedensvertrag vereinbarte Integrale System für Wahrheit, Gerechtigkeit, Entschädigung und Garantien der Nicht-Wiederholung braucht die volle finanzielle und politische Unterstützung der kolumbianischen Regierung. Ohne diese Unterstützung kann auch internationale Hilfe wenig ausrichten", so Alexandra Huck.

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