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22. Mai 2016

Türkei: Stoppt den Kreislauf der Gewalt!

Bund für Soziale Verteidigung - Pressemitteilung - 4. Mai 2016 - „Europa hat uns vergessen“, das ist die bittere Aussage, die in diesen Tagen so oft im Südosten der Türkei zu hören ist. "Wir dachten, Europa stände für Menschenrechte und Frieden. Aber im Gegensatz zum Krieg in der Türkei in den 90er Jahren kümmert sich heute niemand darum, was bei uns geschieht.“

Vom 25. bis 30. April 2016 besuchte eine Delegation der War Resisters' International den Südosten der Türkei. Sie sah, wie der gewaltsame Konflikt zwischen der Türkei und der kurdischen PKK zu ungeheurem Leid und großer Traumatisierung bei der Zivilbevölkerung der kurdischen Gebiete in der Türkei geführt hat. Nach Berichten sind seit August 2015 mindestens 338 ZivilistInnen und eine unbekannte Zahl von Kämpfern getötet worden, mehr als 400.000 ZivilistInnen mussten aus ihren Heimatorten fliehen. Die Menschenrechtsstiftung der Türkei gibt an, dass 100.000 ihre Häuser und Wohnungen verloren haben, weil diese zerstört sind.

"Wir haben Stadtteile gesehen, die völlig zerstört waren. Es erinnert an die Bilder aus dem benachbarten Syrien. Wir sahen Baumaschinen, die die Ruinen planierten. Alte Frauen suchten in den Trümmern nach übriggebliebenen Habseligkeiten ihrer Wohnungen. Und wir sahen, dass Teile des historischen Stadtkerns von Diyarbakır durch Polizeisperren hermetisch abgeriegelt sind, so dass niemand weiß, was dahinter geschieht", berichtete die Vorsitzende der /War Resisters' International/, Dr. Christine Schweitzer.

War Resisters' International ist ein internationales Netzwerk von antimilitaristischen und pazifistischen Gruppen aus mehr als 40 Ländern. Die Delegation bestand aus fünf Mitgliedern aus vier verschiedenen Ländern sowie zwei AktivistInnen aus der Türkei. Ziel war, die Lage in den vom Konflikt betroffenen Gebieten besser einschätzen zu können und nach Möglichkeiten zu suchen, wie die internationale Bewegung für Gewaltfreiheit Partnern in der Türkei dabei helfen kann, Menschenrechte zu schützen und den Friedensprozess voranzubringen.

"Wir trafen verschiedene türkische und kurdische Menschenrechtsorganisationen. Durchgängig berichteten sie uns von zahllosen Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen des türkischen Militärs und der Spezialkräfte. Scharfschützen zielten in den Straßen auf ZivilistInnen, Krankenhäuser wurden geschlossen und zu Militärstützpunkten oder Polizeistationen gemacht, der Zugang zu Gesundheitsdiensten wurde verweigert, Helfer bedroht und getötet", so Rudi Friedrich, Geschäftsführer von Connection e.V., einem in Deutschland ansässigen Verein, der seit mehr als 20 Jahren zum Schwerpunkt Kriegsdienstverweigerung zur Türkei arbeitet. "Einige berichteten uns auch über Strategien der PKK in diesem Konflikt, die ebenso die Zivilbevölkerung gefährden."

"In den letzten Jahren besuchte ich viele Konfliktgebiete", so Dr. Stellan Vinthagen aus Schweden, in den Vereinigten Staaten tätig als Professor für Studien zu zivilem Widerstand. "Das schreckliche ist hier, dass der Konflikt noch nicht einmal als Krieg anerkannt wird. Es gibt eine dominante und unterdrückende Seite. Sie nennt es einen 'Kampf gegen den Terrorismus' und sieht das als Rechtfertigung dafür an, das internationale humanitäre Völkerrecht zu missachten. Und auf der anderen Seite gibt es eine schwächere Seite, die ebenfalls Gewalt benutzt. Wir hörten davon, dass Kämpfer Zivilpersonen daran hinderten, die Konfliktgebiete zu verlassen, da sie sie und ihre Häuser als Schutzschild benutzen wollten."

"Der Schutz der Zivilbevölkerung ist die Pflicht jeder Regierung auf dieser Welt", so die Österreicherin Michaela Söllinger vom Internationalen Versöhnungsbund - Österreichischer Zweig, die als gewaltfreie Begleiterin zum Schutz von Menschenrechtsaktivisten in Guatemala und Kolumbien arbeitet. "Das nicht zu tun bedeutet, eine Atmosphäre der Straflosigkeit zu schaffen. Das darf und kann nicht toleriert werden. Das darf auch nicht bei einer politischen Bewegung akzeptiert werden. Wenn sie sagen, sie kämpfen für 'ihr Volk', dann müssen sie es schützen und dürfen es nicht gefährden."

War Resisters' International sieht Gewalt nirgendwo als Lösung an. "Auch wenn wir den sogenannten 'Friedensprozess', der in der Türkei im Juli 2015 scheiterte, kritisch sehen, am Ende wird eine Lösung nur durch Verhandlungen zwischen allen beteiligten Parteien möglich sein", so Andreas Speck, in Spanien lebender gewaltfreier Aktivist und Mitglied des Andalusischen Netzwerkes für Antimilitarismus und Gewaltfreiheit. "Was derzeit dringend benötigt wird, ist ein echter Friedensprozess, begleitet durch vertrauensbildende Maßnahmen auf beiden Seiten", setzt der bereits seit 20 Jahren zur Türkei arbeitende Andreas Speck fort. "Es hilft nicht, Hürden für solch einen Prozess zu errichten, sei es, dass die Regierung fordert, die PKK solle zuerst die Waffen niederlegen, sei es, dass die PKK fordert, dass am Schluss solcher Verhandlungen eine Autonomieregelung stehen muss. Ein wirklicher Friedensprozess erfordert, dass sich beide Seiten öffnen, aber auch, dass andere, wie die Zivilgesellschaft, in den Prozess eingebunden werden, um eine Lösung zu finden, die die sozialen und kulturellen Rechte der kurdischen Bevölkerung und anderer in der Region lebenden Gemeinschaften respektiert."

Im Anschluss an die Delegationsreise werden die War Resisters' International die Arbeit in der Region gemeinsam mit Partnerorganisationen fortführen, um gewaltfreie Alternativen zum bewaffneten Konflikt zu entwickeln.

War Resisters' International hat gemeinsam mit anderen Friedensorganisationen eine Petition gestartet, um die Regierungen in Europa dazu aufzurufen, angesichts der Situation in der Türkei nicht länger wegzusehen:

In Deutsch: https://weact.campact.de/petitions/stoppt-den-kreislauf-der-gewalt-in-der-turkei In Englisch: https://you.wemove.eu/campaigns/stop-violence-in-turkey

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