Die Humanistin
Rosa Emilia Salamanca knüpft ein Netzwerk aus Frauen, die Kolumbien zu einem sichereren und friedlicheren Ort machen sollen. Um das zu schaffen, hat sie gelernt, mit Paradoxien umzugehen.
Wenn Rosa Emilia Salamanca sagt, sie sei Humanistin von Beruf, so darf man sich das nicht als akademische Tätigkeit oder reine Geisteshaltung vorstellen. Für sie bedeutet es, sich inmitten gewaltsamer Konflikte zu bewegen und sich aktiv für einen menschlichen Umgang der Konfliktparteien miteinander einzusetzen. „Ich bin außerdem Pazifistin“, sagt die 64-Jährige, „aber nicht auf eine naive Weise. Frieden ist eine Utopie, wir müssen mit jedem Konflikt aufs Neue lernen.“ Salamanca lebt und arbeitet in Kolumbien, einem Land, indem Waffengewalt auch heute noch allgegenwärtig ist.
Ihre Heimat beschreibt Salamanca als ein Land mit Licht und Schatten. Was sie Schatten nennt, sind die brutalen Konflikte, die die Nation in ihrer gut zweihundertjährigen Geschichte nie richtig zur Ruhe kommen ließen. Es gab mehrere Bürgerkriege, Aufstände gegen Großgrundbesitzer, schließlich die Smaragd- und Drogenkriege im späten 20. Jahrhundert, die zur Bildung von Kartellen und paramilitärischen Einheiten führten. Salamancas Organisation CIASE hat sich zum Ziel gemacht, in diesem Umfeld nachhaltig Frieden zu stiften – sogar über Kolumbien hinaus in ganz Lateinamerika. Diese Friedensarbeit ist ein langer Weg, doch Salamanca hat zahlreiche und zunehmend mächtiger werdende Verbündete: die Frauen des Landes.
Im Jahr 2000 erkannte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit seiner Resolution 1325 an, dass Frauen und Mädchen besonders unter bewaffneten Konflikten zu leiden haben. „Auch wenn 70 Prozent der Leidtragenden in Kolumbiens Konflikten Frauen sind“, sagt Salamanca, „sind Kolumbiens Frauen viel mehr als Opfer.“ Für Salamanca sind sie der Schlüssel zum Frieden. Ihre Organisation CIASE bildet unter anderem junge Frauen im Alter von 16 bis 21 im ganzen Land zu Friedensstifterinnen aus. „Welche Rechte haben sie? Wie kann man miteinander ins Gespräch kommen, Konflikte in der Gemeinschaft auflösen?“ – um diese Fragen geht es. Es ist eine Graswurzelbewegung, Salamanca beschreibt diese Arbeit als das Säen von Samen, aus denen einmal ein Wald wachsen soll. „Es ist unglaublich zu sehen, dass diese jungen Frauen, die häufig in sehr unsicheren Gegenden leben und auch Gewalt erlebt haben, ein besseres Land aufbauen wollen“.
Kolumbiens Frauen sind der Schlüssel zum Frieden“
Einen weltweit beachteten Erfolg erreichten Kolumbiens Frauen 2016 im Friedensprozess zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla-Organisation FARC-EP. Als einige Jahre zuvor in Havanna Friedensverhandlungen begannen, gab es zunächst nur Gespräche unter Männern. Salamanca war Teil einer großen Bewegung, die für Frauen einen Platz am Verhandlungstisch einforderte – schließlich mit Erfolg. „Frauen sind nach Havanna gegangen, um den Menschen zu zeigen, welche Auswirkungen der Konflikt auf sie hat“, sagt Salamanca. In ihrer Gruppe machte sie Lobbyarbeit, sprach mit UN-Botschafterinnen und -Botschaftern, erarbeitete Forderungen und Verhandlungsvorlagen. Zugleich setzten sich über 400 Frauen ganz unterschiedlichen Hintergrunds zusammen, um die Vorschläge zu diskutieren und verschiedenste Interessen zu berücksichtigen. Gemeinsam erreichten sie, dass Frauen in beide Verhandlungsdelegationen aufgenommen wurden und dass mit dem Einsetzen einer Gender-Kommission die Opferperspektive ins Zentrum des Friedensprozesses rückte. „Als der Friedensvertrag schließlich unterzeichnet wurde, haben wir so sehr gefeiert“, erzählt Salamanca, „wir waren in der Hafenstadt Cartagena, alle von Kopf bis Fuß in weiß gekleidet, es war so schön und ausgelassen.“
Doch Kolumbiens Friedensprozess ist nicht vollendet, immer wieder gibt es Rückschläge. In manchen Regionen ist die Sicherheitslage auch heute noch sehr schlecht, nach wie vor sind Morde an Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtlern, Polizistinnen und Polizisten und ehemaligen Guerillas an der Tagesordnung, andere und neue Guerilla-Organisationen und Drogenkartelle sind weiter aktiv.
Aus den Beschlüssen von Havanna entstand das Nationale Komitee für Sicherheitsgarantien, dem Salamanca als Delegierte angehört, und das im Regierungsauftrag Wege sucht, das Land für alle sicher zu machen. Doch die heutige Regierung Kolumbiens steht dem Friedensvertrag eher kritisch gegenüber, was Salamancas Arbeit nicht leichter macht. „Manchmal bin ich so wütend über das, was in meinem Land passiert“, sagt Salamanca, „dass ich anders reagiere, als man es von einer Pazifistin erwarten würde – es ist paradox, aber ich akzeptiere diese Emotionen.“
„Wir müssen lernen, unsere Paradoxien zu umarmen“
Unsere Welt sei leider mehr und mehr von binärem Denken geprägt, sagt Salamanca. „Immer mehr Menschen meinen, es gäbe nur gut oder schlecht, das eine oder das andere.“ In der Konfliktschlichtung sei es aber wichtig, unterschiedliche Wahrnehmungen der Realität zunächst einmal hinzunehmen und sich auf die verschiedenen Standpunkte einzulassen.
„Ich glaube, wir müssen dieses binäre Denken aufbrechen und lernen, auch unsere ganz persönlichen Paradoxien zu umarmen.“ Salamanca fängt jeden Morgen bei sich selbst an, indem sie, die Feministin, sich ihre patriarchalen Züge vergegenwärtigt. „Mir fällt es zum Beispiel schwer anzuerkennen“, erklärt sie, „dass andere interessante Sichtweisen haben, wenn ich von meiner Position überzeugt bin.“ Nur wenn sie als Feministin ihre patriarchalen Züge und als Pazifistin ihre Wut umarme, sei sie in der Lage, den Weg der Veränderung weiterzugehen.
Schon als junge Frau musste Salamanca lernen, mit Paradoxie und schmerzvollen Emotionen umzugehen. Als Adoptivkind kam sie mit wenigen Monaten in eine vierköpfige Familie, die sie liebevoll großzog und ihr den Sinn für Gerechtigkeit und Frieden mit auf den Weg gab. Nie erzählte ihr jemand oder ließ sie spüren, dass sie kein leibliches Kind war, bis sie schließlich mit 19 in einem Streit mit dem Vater davon erfuhr. „Ich war wie verloren in einem schwarzen Loch“, schildert Salamanca, „fühlte mich betrogen, wusste nicht, wer ich war und wohin ich gehörte.“
Erst nach Monaten ließ sie sich wieder bei den Eltern blicken. „Ich war so, so wütend. Es hat lange gedauert, bis ich ihnen vergeben konnte“, sagt sie. „Schritt für Schritt habe ich gelernt, meine Gefühle und die meiner Eltern zu verstehen, letztendlich habe ich auch meinem Vater vergeben.“ Heute sieht sie es als erste, schmerzvolle Lektion. „Wenn man als Mediatorin oder Friedensstifterin arbeitet, muss man wissen, was die Emotionen hervorruft“, erklärt sie. „Meine ganz persönliche Lebensgeschichte hilft mir dabei.“
Das Förderprogramm zivik fördert die Arbeit von CIASE. Mit dem geförderten Projekt sollen anhand von gelebten Erfahrungen von Frauen alternative Ansätze der Sicherheitspolitik in Lateinamerika erarbeitet werden. Über Workshops, Online-Trainings und andere Mittel wird die Arbeit von CIASE auf direktem Weg zum Aufbau von Kapazitäten in den Bereichen Gewaltprävention, Mediation und Friedensförderung in Kolumbien und Mexiko beitragen.
Zum Autor: Martin Petersen, Jahrgang 1978, leitet seit 2017 in Doppelspitze die Redaktion des Magazins der Robert Bosch Stiftung. Zuvor, von 2010 bis 2017, war er Chefredakteur und Mitgründer des Hamburger Printmagazins STADTLICHH. Als freier Journalist ist er für verschiedene deutsche Medien tätig.