Rainer Werning
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Bericht
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2001

Friedensgeflüster in Korea

Wenn das Attribut »historisch« berechtigt ist, dann war der 13. Juni auf der koreanischen Halbinsel ein gewiss geschichtsträchtiger Moment mit großem Symbolgehalt. Offiziell noch im Kriegszustand, tauschten die Staatschefs beider Teilstaaten, Kim Dae Jung und Kim Jong Il, erstmals Freundlichkeiten per Handschlag aus. Vorrangig ging es bei diesem ersten innerkoreanischen Gipfel um Familienzusammenführung und den Ausbau bilateraler Wirtschaftsbeziehungen. Nicht wenig, bedenkt man, dass gegenseitig hochgeschaukelte Feindbilder und Feindseligkeiten ein halbes Jahrhundert lang den Umgang miteinander prägten. Eine friedliche Ära der Entspannung kann nunmehr vermutet, eine dauerhafte Annäherung erwartet, doch eine (Wieder-)Vereinigung keineswegs problemlos auf die Agenda gesetzt werden.

Der Gipfel begann, wie sich das Verhältnis zwischen Seoul und Pjöngjang seit 1945 gestaltet hatte – verspätet, unter strikten Sicherheitsbedingungen und, von ausgewählten südkoreanischen Journalisten abgesehen, weitgehend unter Abschottung von der Öffentlichkeit. Noch in der Nacht des 10. Juni hatte der Sprecher des südkoreanischen Präsidenten Kim Dae Jung, Park Joon Young, erklärt, Pjöngjang habe vorgeschlagen, den Gipfel um einen Tag zu verschieben – aus „einigen kleinen technischen Gründen“. Park begründete die Verzögerung für koreanische Verhältnisse nachvollziehbar: Der Präsident glaube halt, „dass ein zusätzlicher Tag des Wartens kein Problem darstellt, haben doch beide Seiten darauf ein halbes Jahrhundert gewartet“. Umso größer war dann die Freude der Bevölkerung diesseits und jenseits des 38. Breitengrades, als sie am 13. Juni die Begrüßungszeremonie auf dem Flughafen von Pjöngjang im Fernsehen live miterleben konnte. Für die nordkoreanische Führung ein besonderer diplomatisch-politischer Coup, hatten ihr doch Anfang der neunziger Jahre hochdotierte Analysten von der Londoner »Economist Intelligence Unit« bis hin zu Experten im Washingtoner State Department eine ähnlich rasche Implosion wie in der Sowjetunion und Osteuropa prognostiziert.

Autor:in
Rainer Werning
Herausgeber:in
Wissenschaft & Frieden
Erscheinungsjahr
2001
Region
Land
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