Plattform-Archiv
|
15. November 2011

CfP: Alles hat seine Zeit – auch der Friede? Friedenstheorien und ihre Zeit- und Zukunftskonzeptionen

Die Leitfrage des Workshops lautet, in welcher Beziehung „Frieden“ und „Zeit“ in theoretischen Überlegungen zueinander stehen und welche Implikationen und Folgen diese Beziehung jeweils mit sich bringt. Der negative Frieden, übersetzt mit der  Abwesenheit des Krieges, scheint ein sehr klarer Begriff, denn er bezeichnet die Zeitspanne zwischen zwei Kriegen und einen Zustand der Ruhe und Passivität. Der deutlich interessantere Begriff, der positive Frieden, kann nur dynamisch und gestalterisch interpretiert werden. So wie „der Friede“ ein „soziales Konstrukt“ ist, so ist es auch die Zeit: Beide können nur im Plural und multidimensional gefasst werden. In der Philosophiegeschichte wurden sehr unterschiedliche Zeitkonzeptionen thematisiert: wie die physikalische Zeit (Uhrzeit) im Unterschied zum Zeitbewusstsein, lineare, zirkuläre oder dimensionale Zeitauffassungen. Untersuchungen zur Zeit im Verhältnis zur Gesellschaft zeigen, wie stark „die Zeit“ Gesellschaft beeinflusst und beherrscht und wie zentral unterschiedliche Zeitverständnisse und -erfahrungen im interkulturellen Missverstehen sein können. Das Gestaltungsverhältnis von Zeit und Frieden ist bislang ein vernachlässigtes Forschungsdesiderat, dem wir in diesem Workshop nachgehen möchten.

 

Der Workshop wird vom 8. bis 10. November 2012 in Augsburg stattfinden.

 

Die Organisatoren bitten um Beiträge, die sich an der Leitfrage des Workshops orientieren und möglichst einer der drei folgenden Dimensionen zuordnen lassen.

 

Die Arbeitsgemeinschaft Friedens- und Konfliktforschung (AfK) ist Mitglied der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung.

 

1.) Die doppelte Verschränkung von Zeit und Frieden

In gewisser Weise implizieren sich Zeitverständnisse und Friedenskonzeptionen gegenseitig. Sei es, dass verschiedenen Friedensbegriffen unterschiedliche Zeitkonzeptionen inhärent sind, oder verschiedene Zeiten verschiedene Friedensverständnisse mit sich bringen; hier denkbar ist z.B. Frieden als „Ruhe der Ordnung“, „Ergebnis eines Vertrages“ oder „unendliche Aufgabe“.

Welche Zeitkonzeptionen sind strukturell mit welchen Friedenskonzeptionen vorstellbar? Die Gestaltung der Zeitabläufe und Zeitstrukturen hat von je her Macht über die Menschen ausgeübt: Wer die Kontrolle über die Zeit hat, hat die Macht. Zum Beispiel ist die Frage des Zeitdrucks, mit dem verhandelt wird, der „rechte Augenblick“, an dem etwas geschieht, die zeitliche Strukturierung von Handlungsabläufen (und wer bestimmt darüber), der Zeittakt entsprechend bestimmter „globaler“, internationaler Vorgaben mit entscheidend für das Gelingen von Friedensverhandlungen, für die Gestaltung von mitmenschlichen Beziehungen und gesellschaftlichen Strukturen.

Wir fragen: Inwieweit werden mit „dem Frieden“ immer auch verschiedene Zeitkonzeptionen (unausgewiesen) mitgedacht und welche Folgen haben diese für das Friedensverständnis? Was passiert mit diesen Zeitvorstellungen, wenn Frieden mit anderen Begriffen wie Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit oder Sicherheit zusammengedacht wird?

 

2.) Frieden und Zukunft

Wer "[u]nsere Sicherheit [...] nicht nur, aber auch am Hindukusch (Regierungserklärung, Berlin, 11. März 2004)" verteidigen oder schlicht ein Gaddafi-Regime militärisch besiegen und damit beseitigen will, hat noch nicht notwendig eine Zukunftsvision, wie die afghanische oder libysche Gesellschaft gestaltet werden sollte und von wem.  Auch ist diese Art der „Befriedung“ – ungeachtet, ob man militärische Aktionen überhaupt unter dem Stichwort „Befriedung“ fassen würde – eine Reaktion auf gegenwärtige oder vergangene Handlungen. Augenfällig ist, dass gegenwärtig in der Friedens- und Konfliktforschung Fragen zur Legitimität von Militäreinsätzen im Ausland oder zur Bedeutung und Verteidigung der Menschenrechte gestellt werden, aber Fragen zur Gestaltung friedfertiger Gesellschaften oder Friedenspolitik kaum eine Rolle zu spielen scheinen.

Dieses war in der gegenwärtigen wie auch in der weiter zurückliegenden politischen Ideengeschichte anders: Ob Vertragstheoretiker im 18. Jahrhundert oder die deutsche Friedensforschung in den 1950er und 1960er Jahren – meistens wurde Frieden als Zukunftsvision gedacht. Die Zukunft war als Raum für Wandel und Hoffnung, auch Unsicherheit und Unbekanntes, auch Gefährliches und Paradiesisches konnotiert. Die Zeit des Friedens als Utopie scheint gegenwärtig vorbei zu sein, geht es doch heute eher darum, die Gegenwart zu beschreiben und gegebenenfalls – praxisnah und politikberatend – zu optimieren. Wir fragen deshalb: Inwieweit entwickeln heutige Friedensansätze Zukunftsperspektiven?

 

3.) Frieden und Vergangenheit

Nicht nur die Zukunft, auch die Vergangenheit spielt für den Frieden oft eine Rolle. So zum Beispiel in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Post-Konflikt-Gesellschaften und dem Umgang mit vergangenen Verbrechen im Rahmen von Transitional-Justice-Forschung: Sei es die Faktensuche, das Wahrheitsbedürfnis, das Sich-des-Geschehenen-versichern-wollen innerhalb von Wahrheitskommissionen und Gerichten, die politische und gesellschaftliche Konstruktion von Geschichtsbildern oder die Errichtung von Erinnerungsorten und Denkmälern – Forscherinnen und Forscher setzen sich in vielfältiger Weise mit der Frage auseinander, inwiefern der Frieden der Vergangenheit bedarf. Wir fragen: Inwiefern müssen diese in die Vergangenheit gerückten „Geschichten“, die zu einem konfliktträchtigen Gewebe von Vergangenheitsverständnissen nebeneinander gestellt oder zusammengefügt werden, berücksichtigt werden, wenn es um Friedenstheorien geht? Welche Rolle spielen Vergangenheit und Vergangenheitskonstruktionen für Friedenskonzeptionen? Ist Frieden ohne Vergangenheit möglich?

Eine weitere Verknüpfung von „Zeit“ und „Frieden liegt im Begriff der Verantwortung, der in der friedenstheoretischen Diskussion eine wichtige Rolle spielt. Während traditionell Verantwortung eher mit der Schuldfrage verknüpft wurde und mit Fragen „Wer die Verantwortung für eine Handlung trug“ oder „wer der Schuldige sei“ ausformuliert wurde, wird heute zumeist von prospektiver, zukunftsweisender oder präventiver Verantwortung gesprochen. Aber wie können unterschiedliche Verständnisse von Aufgaben und unterschiedliche zeitliche Konzeptionen von Verantwortungsauffassungen für die friedvolle Zukunftsgestaltung berücksichtigt werden?

 

Arbeitsform und Ablauf des Workshops

Intensive Diskussionen, arbeiten an den einzelnen Beiträgen und diese nach und nach zusammenbringen, um letztlich eine erste gemeinsame Antwort unter den TeilnehmerInnen auf die Leitfrage zu erarbeiten. Jeder Vortrag wird vor dem Workshop einem/r KommentatorIn zugesandt. Die anschließende Diskussion der TeilnehmerInnen basiert in der Regel auf dem Vortrag und dem vorbereiteten Kommentar. Um intensive Diskussionen zu gewährleisten, sind eine Vortragszeit von 30 Min., ein Kommentar von 5-10 Min. sowie 40 Min. Besprechungszeit vorgesehen.

 

Zielgruppe und Beiträge

Der Arbeitskreis freut sich auf Beiträge, die sich mit dem Thema „Frieden und Zeit“ befassen und dabei die Leitfrage oder einen der drei beschriebenen Aspekte berühren. Der Workshop richtet sich dabei vor allem an Friedens- und Konfliktforscherinnen und Konfliktforscher. Dazu zählen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ebenso wie anwendungsorientierte Forscherinnen und Forscher.

Bis zum 15.01.2012 können Abstracts beim Organisationsteam eingereicht werden. Die Beiträge werden bis zum 15.04.2012 ausgewählt und sollen anschließend zum 30.10.2012 fertiggestellt werden, um rechtzeitig vor dem Workshop an alle Kommentatoren geschickt werden zu können.

Wer gerne einen Kommen
tar für den Workshop vorbereiten möchte, soll sich bitte bis zum 31.03.2012 beim Organisationsteam melden.

 

Organisation

Julika Bake (Universität Augsburg), Andreas Bock (Universität Augsburg), Christina Schües (Universität zu Lübeck)

Kontakt: Christina Schües, schuees@imgwf.uni-luebeck.de