„Frieden braucht Gesellschaft“
Empfehlungen der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung zur Außenpolitik für einen rot-grün-gelben Koalitionsvertrag
Die letzten Bundesregierungen haben sich verpflichtet, international zur Krisenprävention, Friedensförderung und Stärkung von Menschenrechten beizutragen, zuletzt mit den 2017 verabschiedeten Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“, die einen Fokus auf Gewaltprävention sowie den Primat des Zivilen als handlungsleitende Maximen festschreiben. Diese gilt es in glaubwürdiger Weise umzusetzen.
Vor diesem Hintergrund empfiehlt die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung den Verhandlungsparteien anlässlich der am Donnerstag, den 21.10.2021, beginnenden Koalitionsverhandlungen Formulierungen für die Prioritäten zur Stärkung ziviler Krisenprävention und Friedensförderung für einen progressiven Koalitionsvertrag:
1. Zivile Ansätze für Krisenprävention und Friedensförderung stärken
„Wir werden präventive Instrumente, zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung stärken und die Mittel für staatliche und zivilgesellschaftliche Initiativen in diesen Bereichen verdoppeln.“
„Wir werden die Leitlinien der Bundesregierung um einen Umsetzungsplan mit konkreten Planzielen ergänzen, der eine laufende Überprüfung von Fortschritten und kontinuierliches Lernen ermöglicht.“
„Wir werden die personellen und finanziellen Mittel für die staatlichen und zivilgesellschaftlichen Instrumente im Bereich Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung bis 2025 verdoppeln.“
„Wir wollen die Wirkungsmöglichkeiten des Zentrums für internationale Friedenseinsätze (ZIF) und des Förderprogramms IFA/zivik erweitern und die Weiterentwicklung der AG Frieden und Entwicklung (FriEnt) sowie des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) ermöglichen.“
„Wir werden zivilgesellschaftliche Initiativen, Programme der Kirchen und Nichtregierungsorganisationen, deutlich und planvoll erhöhen, und auch das Zuwendungsrecht reformieren, damit lokale NGOs besser gefördert werden können, und wir werden für alle Programme mehrjährige Förderzusagen ermöglichen.“
„Wir werden die Friedens- und Konfliktforschung stärken und die Deutsche Stiftung Friedensforschung entsprechend den Empfehlungen des Wissenschaftsrats finanziell langfristig absichern, damit sie ihren Auftrag erfüllen kann.“
„Wir werden einen Pool von Mediator:innen für Einsätze der OSZE, VN und EU in Krisengebieten aufbauen.“
„Wir werden die Öffentlichkeit durch verstärkte und zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit über Erfolge und Chancen ziviler Konfliktbearbeitung informieren.“
„Wir werden uns für jährliche Grundsatzdebatten zu drängenden friedenspolitischen Themen im Deutschen Bundestag einsetzen.“
Begründung: Angesichts der drängenden friedenspolitischen Herausforderungen und der sich durch Klimawandel und Coronapandemie verstärkenden Krisen und Konflikte weltweit muss die Bundesregierung die 2017 verabschiedeten Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ konsequent umsetzen. Sie muss verstärkt in den Ausbau der zivilen Ansätze für Krisenprävention und Friedensförderung investieren und die Infrastruktur für Krisenprävention und Friedensförderung zukunftsfähig machen. |
2. Einführung eines wirksamen Rüstungsexportkontrollgesetzes
„Wir werden ein wirksames, restriktives nationales Rüstungsexportkontrollgesetz in Deutschland einführen. Nur auf dieser Grundlage können wir uns auch glaubwürdig auf EU-Ebene für eine rechtsverbindliche Regelung zur Begrenzung und Kontrolle von Rüstungsexporten einsetzen.“
„Das nationale Rüstungsexportkontrollgesetz wird den Export von Rüstungsgütern und Dual-Use-Produkten an Staaten, die an Kriegen beteiligt sind, und auch an Länder, die diktatorisch regiert werden und systematisch Menschenrechte verletzen, ausnahmslosverbieten.“
„Der Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in Drittstaaten wird grundsätzlich verboten, so dass Rüstungsexporte nur in zu begründenden Ausnahmefällen und bei gesichertem Endverbleib genehmigt werden können. Dies bedeutet ein Exportverbot für alle Staaten, die nicht EU-Staaten oder diesen gleichgestellt sind.“
„Kleinwaffenexporte in Drittstaaten werden verboten.“
„Im Gesetz wird ein Verbandsklagerecht vorgesehen, damit Zuwiderhandlungen offengelegt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können.“
Begründung: Deutschland gehört zu den fünf größten Waffenexportnationen der Welt. In den vergangenen Jahren wurden aus Deutschland Rüstungsgüter in großer Zahl und Milliardenhöhe auch an Staaten geliefert, die Menschenrechte verletzen oder an Gewaltkonflikten beteiligt sind. Exporte in Drittstaaten (also weder in EU, NATO noch diesen gleichgestellte Länder) wurden entgegen allen Versprechungen der Bundesregierung nicht drastisch reduziert, ihr Anteil am Wert aller genehmigter Rüstungsexporte lag in den letzten Jahren fast immer über 50 Prozent. Die aktuelle rechtliche Grundlage für die Exportkontrolle ist lückenhaft und eine parlamentarische und öffentliche Kontrolle kaum möglich. Im Interesse einer kohärenten, glaubwürdigen und friedensfördernden Außenpolitik muss diese Praxis gestoppt werden. Deutschland sollte mit einem wirksamen und restriktiven nationalen Gesetz Vorbild für andere europäische Länder sein. Nur wenn es hier mit gutem Beispiel vorangeht, kann es sich gleichzeitig auch glaubwürdig für eine rechtsverbindliche Regelung zur Begrenzung und Kontrolle von Rüstungsexporten einsetzen, die genauso hohe Standards setzt, und so dem gemeinsamen Standpunkt der EU-Mitgliedstaaten von 2008 zur Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern rechtsverbindlich zur Umsetzung verhilft. |
3. Auswertung der Erfahrungen in Afghanistan
„Wir werden die Erfahrungen in Afghanistan systematisch auswerten und zu diesem Zweck eine Enquetekommission einrichten. Darüber hinaus braucht es einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss.“
„Wir werden eine Enquetekommission mit der systematischen Auswertung des Gesamt-Kontexts und zur Beantwortung folgender Fragen beauftragen: Ist es erfolgversprechend, wenn externe Akteure in entfernten Weltregionen gleichzeitig Kriegseinsätze und parallel dazu Maßnahmen für Wiederaufbau, Entwicklung und Demokratisierung durchführen? Wie hat man den regionalen Kontext analysiert und wie wurden die eigenen Einflussmöglichkeiten reflektiert? Welche Veränderungen (Abstimmungsverfahren, Kooperationen und Evaluierungsstandards) sind erforderlich, um Regierungshandeln zukünftig kohärenter zu gestalten? Welche Alternativen gibt es zum militärischen Umgang mit Extremismus?“
„Darüber hinaus soll ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die Versäumnisse und die Verantwortung der jeweiligen Ressorts (Auswärtiges, Inneres, Verteidigung und Entwicklung, usw.) für den unzureichenden Schutz von Partner:innen und Ortskräften aufklären und Vorschläge dafür erarbeiten, wie Menschen in zukünftigen Einsätzen geschützt und wie gefährdete Personen im Krisenfall außer Landes gebracht werden können.“
„In die Aufarbeitung werden die Erfahrungen aus der deutschen, afghanischen und internationalen Zivilgesellschaft systematisch einbezogen.“
„Wir werden sicherstellen, dass Auslandseinsätze und alle zivilen wie militärischen Maßnahmen in Krisenregionen fortlaufend evaluiert werden.“
„Evaluierungen werden zukünftig ressortübergreifend angelegt und von unabhängigen Fachleuten durchgeführt.“
Begründung: Das Engagement in Afghanistan und das katastrophale Ende haben eine Fülle von Fragen aufgeworfen, mit denen sich Regierung und Parlament unbedingt befassen müssen. Das betrifft nicht nur Fragen nach der Abstimmung der beteiligten Akteure, sondern auch nach der Vereinbarkeit von Zielen, und der Vermeidung von Widersprüchen und Zielkonflikten, die das deutsche und internationale Vorgehen nicht nur in Afghanistan, sondern auch in anderen Regionen derzeit prägten. Eine umfassende Auswertung gescheiterter und laufender Einsätze könnte zukünftig eine kohärente Politik ermöglichen, die sich in glaubwürdiger Weise an der Umsetzung der 2017 formulierten „Leitlinien Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ orientiert. |
4. Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag
„Wir werden den Beschluss des Deutschen Bundestages von 2010 zum Abzug der letzten in Deutschland stationierten Atomwaffen umsetzen und dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten. Dazu wird die deutsche Bundesregierung im ersten Schritt als Beobachterin bei der im März 2022 stattfindenden Vertragsstaatenkonferenz des Atomwaffenverbotsvertrags (AVV) teilnehmen.“
Begründung: Der Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) wurde 2017 von 122 UN-Mitgliedstaaten angenommen und trat am 22. Januar 2021 in Kraft. Norwegen hat als erstes NATO-Land angekündigt, als Beobachterin an der Vertragsstaatenkonferenz im März 2022 teilzunehmen. Die Bundesregierung sollte in einem ersten Schritt diesem Beispiel folgen. Zurzeit herrscht weltweit das Recht der Stärkeren (derjenigen Staaten, die Atomwaffen besitzen). Damit sich weltweit die Stärke des Rechts durchsetzt und die mit der Existenz von Atomwaffen verbundenen existenziellen Gefahren für das Leben auf unserem Planeten überwunden werden, sollte Deutschland dem AVV beitreten. |
5. Kooperative Sicherheitspolitik mit Russland und China
"Wir setzen uns für eine kooperative Sicherheitspolitik mit Russland und China ein.“
Begründung: Die großen Krisen unserer Zeit wie die Klimakrise und zunehmende Pandemien können weltweit nur gemeinsam gelöst werden. Dazu sollte mit Russland und China unter dem Dach der UNO und auf der Basis der universellen Menschenrechte sowie der UN-Charta eine tragfähige kooperative Sicherheitspolitik entwickelt werden. Voraussetzung dafür ist die gegenseitige Anerkennung, dass wir alle bisher vielfältig sowohl die Menschenrechte wie auch die UN-Charta verletzen. Zum gegenseitigen Vertrauensaufbau gehört auch und zuallererst das Eingeständnis eigenen Fehlverhaltens. Deutschland sollte innerhalb der EU und der NATO mit seinen östlichen Partnern für eine mittelfristige Wirtschafts- und Sicherheitspartnerschaft mit Russland werben. Wenn der Ukraine jenseits der EU und der EAWU (Eurasischen Wirtschaftsunion) langfristig eine dritte Option, nämlich ein einheitlicher Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok angeboten werden kann, lassen sich auf der Basis solch einer Perspektive auch langfristig tragfähige Abrüstungsvereinbarungen mit Russland entwickeln und umsetzen. |
Berlin, 22. Oktober 2021
Herausgegeben vom Sprecher:innenrat der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung.